No place like home?
Hi there!
Als uns das Taxi nach vier Wochen Heimaturlaub morgens um sechs am Kölner Bahnhof ausspuckt (zur blauen Stunde übrigens ;-), geht mein Blick sehnsüchtig hinauf zu den Spitzen des Kölner Doms. Ein “Home is where the dome is” sage ich fast andächtig zum Abschied und bekomme von meinem Sohn postwendend ein “Home is where the M is” entgegen geschmettert. Wumm, das saß. Schon am Vorabend, als sich bei mir so was wie Abschiedsschmerz einstellte, meinte er, es sei doch alles gut, wir würden doch nach Hause fliegen. Nach Hause, Heimat … ich bin verwirrt! Und hin- und –hergerissen zwischen den Welten.
Darüber, was Heimat bedeutet, mache ich mir schon eine Weile Gedanken. Hier in Ann Arbor habe ich in den letzten zwei Jahren viele Menschen unterschiedlicher Herkunft getroffen, die zum Teil schon viele Jahre hier leben. Für eine spanische Freundin, die seit über 20 Jahren in den USA lebt, fühlt es sich auch nach so langer Zeit nicht “natürlich” an, hier zu sein. Sie hat aber auch in Spanien keinen Ort mehr, den sie Heimat nennt, worüber sie sehr traurig ist. Für ihren Mann (als Teenager mit seinen Eltern nach Kanada immigriert) hingegen existiert das Konzept “Heimat” gar nicht. Er findet das aber auch nicht schlimm.
Mir dagegen ist seit unserem Umzug sehr bewusst geworden, wie wichtig dieser Anker für mich ist. Ich bin sehr dankbar für die Orte, mit denen ich ein Gefühl von Heimat verbinde. Da ist der Ort, in den ich hineingeboren wurde, Erinnerungen an eine glückliche Kindheit und prägende Teenagerzeit. Da ist meine Wahlheimat-Stadt Köln, mit der ich heute am stärksten verbunden bin. Da ist Berlin, weil diese Stadt seit meiner Kindheit immer “mit dabei” war und zwischen 2008 und 2012 eine ganz besondere Rolle gespielt hat. Da ist auch ein kleiner Ort in Norditalien, der seit 1996 mehr als sommerliches Ferienziel für unsere gesamte Familie geworden ist. Und da ist Houston, Texas, wo ich nach dem Abitur ein Jahr in einer Familie gelebt habe. Wenn ich meine Gastfamilie in den Folgejahren besuchte, kribbelte es in meinem Bauch, sobald das Flugzeug texanischen Boden berührte. Alles meinen kleinen Heimaten.
Landeanflug auf Detroit, Detroit River Downtown Detroit (l.u.) / Windsor, Kanada auf der anderen Seite
Auch in Ann Arbor haben wir uns sicherlich ein Stück Heimat geschaffen. Es ist derzeit “home”, und das im besten Sinne. Aber wirklich hoch schlägt mein Herz, wenn die Domspitzen in Sicht kommen oder der ICE den Berliner Bahnhof Zoo durchfährt. Heimat als Ort und als Gefühl. Das Gefühl, mit einem Ort tief verbunden zu sein. Das Gefühl, sich in seiner eigenen Muttersprache am besten ausdrücken zu können. Das Gefühl, den Humor zu verstehen, und selber verstanden zu werden.
Im letzten Jahr habe ich ein tolles Buch zum Thema gelesen. “Heimflug”, ein autobiographischer Roman der Amerikanerin Brittani Sonnenberg. Sie wuchs als Tochter sogenannter Business-Nomaden auf, die Familie zog alle paar Jahre um. USA, Europa, Asien. Ein Leben zwischen Kontinenten und Kulturen. Ihre eigentliche Heimat USA kennt sie nur von den jährlichen Besuchen ihrer Großeltern in den Sommerferien. Das Buch versucht zu ergründen, was Heimat ist und wie man damit lebt, keine zu haben. Wenn sich an keinem Ort ein Gefühl von verwurzelt sein, von Geborgenheit einstellen mag.
Gemessen an den Schicksalen der Menschen, die momentan aus ihren Heimaten fliehen, erscheinen all diese Gefühle und Gedanken eher belanglos. Aber sie machen mir umso deutlicher, wie traurig ihre persönlichen Geschichten sind. Und ich wünsche den Menschen, dass sie trotz des Erlebten ein Stück Heimatgefühl hinüber retten können. Als Silberstreif am Horizont, der ihnen Zuversicht und Kraft für das neue Leben fernab ihrer eigentlichen Heimaten gibt.
Jetzt ist dieser Beitrag ernster und vielleicht auch sehr viel persönlicher geworden, als ich ihn ursprünglich mal im Kopf hatte. Hier beginnt heute das lange “Labor Day Weekend” und markiert das Ende des Sommers. Der Labor Day würdigt den Beitrag der amerikanischen Arbeiter zum Wohlstand des Landes. Dienstag heißt es “back to school” – finally. Außerdem hat die Football Saison begonnen. Michigan – Go blue! Home is where the M is. 😉
Kevin
6. September 2015 @ 03:14
Hi Britti,
diese Woche markiert auch für mich einen Meilenstein. Es ist am 11.9. der 23. Jahr in Deutschland/Tschechien gelebt zu haben. Aus dem kleinen Ort, Trenton, Missouri, wo einst auch Jörg ein Stückchen Heimat in sich sicherlich noch hat, komme ich und Heimat nenne. 23 Jahre später ist Trenton immer noch da, wo ich im Gespräch Home nenne. Nichtdestotrotz landete ich in einem neuen Land, wo ich stoltz bin, Wahlheimat nennen zu können. Die Gastfreundschaft von der Ullrich Familie, der Weller Familie, der Miller Familie, der Creutzig Familie waren mir wichtig und gab mir die erste Heimatgefühle in Deutschland für die ich heute noch sehr dankbar bin. Auch Du und Jörg trugen dazu bei, dass ich nie alleine in Deutschland war oder mich so fühlte. Schon komisch, dass Ihr in Ami-Land seid, und ich hier. Ich vermisse Euch.
Das gesagt, im Ausland zu leben bereichert die Seele, öffnet die Augen, spitzt die Sensibilität für Mitmenschen und forciert das tiefe Kennenlernen von sich selbst. Obwohl ich Euch vermisse, bin ich froh für Euch, dass Ihr den Weg gegangen seid.
Bussi an Euch drei und bis Dezember auf Hawaii
Euer Kevin
Britta
6. September 2015 @ 10:44
Hey Kevin, you rock! Danke für deinen wunderbaren Kommentar. Es ist schön zu wissen, dass du in Deutschland (und später Prag) eine zweite Heimat gefunden hast, und es so viele Menschen gab und gibt, die dich seit dem ersten Tag in Deutschland begleiten. Toll, dass all’ deine/eure Umzüge nichts an unserer Verbundenheit geändert haben! Auch, wenn wir vorübergehend nun die Kontinente getauscht haben. That said (mein Lieber, manche Wendungen klingen im Deutschen sehr lustig, Tino fängt auch damit an ;-), we miss you too!! Can’t wait to give you and Knut a big hug in December!!! ruft Britta
Sonja
6. September 2015 @ 03:58
Liebe Britta, Dein Heimatbeitrag berührt mich sehr.
Mir geht dabei so viel durch den Kopf. Danke dafür.
Kiss & Miss,
Sonja
Britta
6. September 2015 @ 10:49
Liebe Sonja! Und in meinem Kopf schwirren auch noch viel mehr Gedanken dazu … aber ein Blog ist ja kein Buch 😉 Aber das Buch “Heimflug” wird dir gefallen! Danke dir, meine Süße. xo Britta
Karola Ullrich
6. September 2015 @ 13:05
Ja, der Kölner Dom drückt für mich Heimat aus.
Aber , wenn man auch zwischen 2
Welten mehr oder weniger verbunden ist, so ist das sicherlich manchmal schwer, aber gegenüber der Völkerwanderung nach Europa sind dies positive Erfahrungen.
LG Karola
Nally
14. September 2015 @ 16:20
Liebe Britti, was für ein schöner Beitrag auch wenn du ihn schon vor einer Weile geschrieben hast, komme ich erst jetzt dazu etwas zu schreiben. Der Text hat mich berührt und nachdenklich gemacht und ich kann mir gut vorstellen wie hin und her gerissen Ihr euch da manchmal fühlt weit weg von der “Heimat” in der man so tief verwurzelt ist. Auch wenn ich nicht direkt in Köln wohne so zieht es mich auch immer dahin und es ist immer ein beruhigendes GEfühl den Dom zu sehen da wo er hin gehört. Ich hatte das Glück in Much meine Heimat zu finden und auch dass hat mit dem Gefühl zu tun von Vertrauen und Geborgenheit, dass mir sicher damals meine Eltern, Ihre Familien und viele Freunde natürlich an erster STelle, deine kleine Schwester, gegeben haben, daher bin ich vielleicht auch wieder zurück gekommen an diesen kleinen Ort der etwas vom Schuss liegt aber für mich Heimat bedeutet, da ich hier das erste mal Wurzeln geschlagen habe. Das schöne ist, dass man dies erst weiß wenn man mal weg gewesen ist und dann zurück nach Hause zu kommen. ist ein tolles Gefühl und man weiss es viel mehr zu schätzen als wenn man Jahr ein Jahr aus an der selben STelle wohnt. Von daher geniesst Euer Abendeuter USA noch eine Weile, wie ich gehört habe noch mal verlängert und freut Euch auf “nach Hause kommen”. Liebe Grüße aus good old Germany und dem kleinen Much sendet die Nally
Britta
16. September 2015 @ 10:31
Liebe Nally, ach ja – unser schönes Much! Auch wenn ich ein Stadtmädchen geworden bin, so komme ich doch immer gerne nach Much. So viele Erinnerungen! Im Sommer musste ich ein Foto vom Kirchturm machen … verrückt! 😉 Danke für deinen schönen Kommentar. Es freut mich sehr, wenn ich ein paar Gedankenanstösse geben konnte … und jetzt welche von dir zurück bekomme. Ja, die Perspektive auf unsere Heimat in Deutschland verändert sich mit der Erfahrung des Lebens in einem anderen Land. Wie schön, dass du damals in Much und somit auch in unserer Familie “gelandet” bist! findet Britta mit liebem Gruß aus der Kleinstadt Ann Arbor ins Dorf Much.