The Greatest Show on Earth
Hi there!
“Should auld (old) acquaintance be forgot, and never brought to mind? Should auld acquaintance be forgot, and auld lang syne (and days of long ago)?” Diese Zeilen des schottischen Volksliedes stimmten die Darsteller des Traditions-Zirkus “Ringling Brothers and Barnum & Bailey” immer am Ende jeder Tournee an, um sich von ihrem Publikum zu verabschieden. Am letzten Sonntag sangen sie die Hymne auf längst vergangene Zeiten ein letztes Mal. In New York fiel nach 146 Jahren der Vorhang des weltberühmten Zirkus für immer. Ringmaster Johnathan Lee Iverson gab den Besuchern der letzten Show einen Rat mit auf den Weg. “Keep the circus alive inside you!”
Sinkende Zuschauerzahlen und Kritik von Tierschützern werden als Gründe für das überraschende Aus genannt. Schade, denn ich hatte gehofft, die “Greatest Show on Earth” vielleicht noch live erleben zu können. Im April haben wir “The Ringling” in Sarasota, Florida besucht. Der heutige Museumskomplex ist Teil des ehemaligen Winterquartiers von “Ringling Bros und Barnum & Bailey”. Er erzählt die wechselvolle Geschichte des Zirkus, die beginnt, lange bevor das Fernsehen als Unterhaltungs-Medium in die amerikanischen Haushalte einzieht. In einer Zeit, als schon die bloße Ankunft des Zirkus eine große Attraktion war. Wenn der Zirkus in die Stadt rollte, gab es schulfrei und ein jeder war auf den Beinen, um Schausteller, Artisten und Tiere jubelnd zu begrüßen. In einer Zeit, in der der Zirkus mit seinen kleinen und großen Wundern, Kinderaugen zum Glänzen brachte. Mit der Schließung des letzten großen Zirkus geht auch ein Stück amerikanische Geschichte zu Ende.
Die Ringling Brüder, Söhne deutscher Einwanderer, gründen 1884 im Bundesstaat Wisconsin den “Ringling Brothers Circus”. 1907 erwerben sie den “Barnum & Bailey Circus”. Bis 1919 werden die beiden Unternehmen eigenständig geführt, dann werden sie zu einer Show unter “Ringling Brothers and Barnum & Bailey Circus” zusammengefasst. Sein Winterquartier verlegt das Unternehmen einige Jahre später ins sonnige Sarasota. Nach dem Tod seines letzten Bruders leitet John Ringling die Geschicke des Zirkus alleine. Mit seiner Frau Mable reist er immer wieder durch Europa, auf der Suche nach Akrobaten und Inspiration. Neben neuen Zirkus-Attraktionen entdecken sie dabei ihre Liebe zu alten europäischen Meistern und zur Architektur. Die venezianischen Palazzi sind es, nach deren Vorbild sie ihr privates Winterquartier in der Bucht von Sarasota errichten lassen. John Ringling gibt dort den Auftrag für eine imposante 30-Zimmer Residenz, das “Cà d’Zan” (Haus für John). Der Rundgang durch die fantastische Villa eröffnet dem Besucher einen Einblick in den Lebensstil der “Roaring Twenties”. In den opulent eingerichteten Räumen feiert das Ehepaar mit einer illustren Gesellschaft aus Familie, Freunden, Politikern und anderen Celebrities viele rauschende Feste. Eine große Terrasse öffnet sich zum Wasser hin. Wären da nicht die modernen Hotels und Apartmentgebäude in der Ferne auf Longboat Key zu sehen, würde man der Illusion erliegen, am Canale Grande zu stehen.
Für ihre wachsende Kunstsammlung errichten sie auf dem parkähnlichen, wunderschön angelegten Grundstück das “John and Mable Ringling Museum of Art”, ebenfalls im venezianischen Stil. 21 Galerien zeigen europäische Kunst aus dem 16.-20. Jahrhundert, darunter eine weltbekannte Gemälde-Sammlung des Malers Peter Paul Rubens. Der Innenhof ist gefüllt mit klassischen Skulpturen. Im letzten Jahr wurde das Museum um ein “Center for Asian Art” erweitert. 3.000 dunkelgrün glasierte Terrakotta-Fliesen machen die neue Fassade des Anbaus zu einem modernen Hingucker, ohne jedoch die klassische Architektur des ursprünglichen Gebäudes zu stören.
Aber zurück zum Zirkus! Hereinspaziert! In eine bunte Welt, die Menschen in der Stadt und auf dem Land generationsübergreifend verzauberte. Das Zirkus-Museum dokumentiert die reiche Geschichte einer bunten und aufregenden Zirkuswelt. Der Ringling Bros. and Barnum & Bailey Zirkus operierte wie viele amerikanische Zirkusse dieser Zeit als Eisenbahn-Zirkus. Die zu überwindenden Distanzen waren groß, das Straßennetz nicht so gut ausgebaut wie heute. Mit zwei unterschiedlichen Shows zog “The Greatest Show on Earth” so durchs Land. Jeder Zug war etwa eine Meile (1,6 km) lang und bestand aus rund 60 Wagons. Der luxuriöse Privat-Wagon von John und Mable Ringling steht heute im Museum. Er trägt den Namen “Wisconsin”, in Erinnerung an ihre Heimat im mittleren Westen. Wir treten eine Zeitreise in die faszinierende Zirkuswelt an, deren Glanz wir nur erahnen können. Aufwändig geschnitzte Tierwagen, Drehorgeln, historische Zeltstangen, alte Werbeplakate, Zeitungsausschnitte und Eintrittskarten, prachtvolle Original Kostüme von Artisten und Tieren, sowie unzählige Requisiten von berühmten Artisten helfen unsere Vorstellungskraft auf die Sprünge. Ein toller Einblick in das Leben von Akrobaten und Schaustellern jener Zeit. Auf ihrer Mission, die Zuschauer für einige Stunden in eine andere Welt zu entführen.
So richtig fassen können wir die Dimensionen eines solchen Wanderzirkus auf Schienen aber erst, als wir das unglaubliche Modell im Maßstab 1:12 bestaunen. Auf rund 350 Quadratmetern ist hier aus 44.000 Einzelteilen das Zirkus-Modell “Howard Bros. Circus” entstanden. Aufgrund von Namensrechten durfte Erbauer Howard Tibbals sein Modell nicht nach dem Original benennen. Das für große amerikanische Zirkusse typische 3-Managen-Konzept wird hier anschaulich. Damit die oft mehr als 10.000 Menschen unter dem “Big Top”, der gigantischen Zirkuskuppel, alle etwas zu sehen hatten, wurden immer drei Nummern gleichzeitig präsentiert. Beim Anblick der vielen liebevoll zusammen gestellten Szenen fühlt man förmlich den Glanz der Scheinwerfer, riecht das Sägemehl, sieht die Clowns stolpern, hält den Atem an ob der waghalsigen Akrobatik-Nummern. Man kann sich gut vorstellen, wie in dieser Welt Kinderträume wahr wurden, losgelöst vom oft schwierigen Alltag dieser Zeit.
Fast vier erfolgreiche Jahrzehnte im Zirkusgeschäft, Investitionen in Immobilien, Eisenbahnlinien und Ölfelder machten John Ringling zu einem der reichsten Männer der Welt. Aber die schwere Wirtschaftskrise setzte ihm ab 1929 schwer zu. Er verlor fast sein gesamtes Vermögen, konnte so gerade sein Haus und das Kunstmuseum erhalten. Auch privat verließ ihn sein Glück, seine Frau Mable verstarb 1929, sie konnte nur drei Winter in ihrem geliebten “Cà d’Zan” verbringen. John Ringling starb 1936 in New York, mit 311 Dollar auf seinem privaten Konto. Die Villa, das Kunst-Museum und seine gesamte Kunstsammlung vermachte er dem Staat Florida.
Nach John Ringling’s Tod führt sein Neffe John Ringling North den Zirkus weiter. Er lässt die Show fortan nur noch in festen Spielstätten, wie dem Madison Square Garden in New York, auftreten. Der letzte Eigentümer des Zirkus ist Feld Entertainment. Nun ist mit der Abschieds-Show des letzten großen amerikanischen Zirkus eine Ära zu Ende gegangen. Zwei Weltkriege hat er überstanden. Radio, Fernsehen und Film haben ihm einen Teil seines Glanzes genommen. Viele behalten ihn als eines ihrer Kindheitswunder in Erinnerung. Vielleicht wird sich die größte Show der Welt auch neu erfinden und anders weiter machen. Es liegt ja im Naturell der Amerikaner, sich nicht unterkriegen zu lassen. Zu neuen Ufern aufzubrechen. Und vielleicht werden die Zeilen eines amerikanischen Kinderliedes dann wieder ihre magische Bedeutung zurückgewinnen:
“When the circus comes to our town,
Everybody acts like a clown!
All the world starts spinning upside down,
When the circus comes to town!”