Grunewald

Gleis 17, Bahnhof Grunewald

Manchmal stößt man unterwegs unverhofft auf Orte, die man nicht auf dem Zettel hatte. Eine Berlin Radtour führt uns durch den Fußgängertunnel am S-Bahnhof Grunewald. Da man sein Rad durch den Tunnel schieben muß, fällt mir das schlichte Schild überhaupt nur auf. Am anderen Ende des Bahnhofs angekommen und eigentlich bereit, die Tour fortzusetzen, lässt mir der Hinweis keine Ruhe. So bin ich zurückgegangen und die Stufen zum ehemaligen Gleis 17 hinaufgestiegen.

Oben am Gleis angekommen, ist plötzlich Stille. Die Geräusche des Bahnhof Grunewald wie ausgeschaltet. Der Ort so friedlich, dass es schwer vorstellbar ist, was hier zwischen Herbst 1941 und Frühjahr 1942 stattgefunden hat. Von Gleis 17 aus wurden deutsche Juden, Sinti und Roma mit Zügen der Deutschen Reichsbahn in Arbeits- und Konzentrationslager deportiert. Die Deutsche Bahn AG hat dieses zentrale Mahnmal 1998 errichten lassen. Auch als Erinnerung an alle anderen Deportationstransporte, die während der NS-Herrschaft mit Zügen der Deutschen Reichsbahn durchgeführt wurden.

Für jeden Transport, der von Berlin aus abging, ist auf beiden Seite der Bahnsteigkante eine gusseiserne Platte eingelassen. Sie nennt das Datum, die Anzahl der Menschen und den Bestimmungsort. Die 186 Platten fügen sich – chronologisch angeordnet – zum Kernteil des Mahnmals zusammen. Ein Mahnmal, das an die mit brutaler Konsequenz geplante Logistik der Deportation erinnert. Das wird beim Entlanggehen auf dem ehemaligen Bahnsteig spürbar. Teile der Gleise sind mittlerweile zugewachsen, die Schienen haben Rost angesetzt. Die Natur und der Verfall sind wohl bewusste Bestandteile des Mahnmals. Wenn die beschrifteten Stahlplatten Erinnerung und Warnung sind, so stehen die Bäume als unüberwindbare Barriere dafür, dass hier nie wieder ein Zug abfahren wird.

Das Mahnmal “Gleis 17” ist in seiner Konzeption schlicht und nüchtern. Aber der kurze Moment des Innehaltens wirkt sehr kraftvoll nach.

Der Teufelsberg

Geschichte No. 4 – Endspurt in den Frühling

Hi there!

Großer Lauschangriff. Die zweithöchste Erhebung Berlins bot ideale Bedingungen zum Abhören. Das machte sich der US-Geheimdienst NSA in den 1950er Jahren zu Nutzen. Zunächst mobil, bevor er in den 1960er Jahren auf dem Teufelsberg im Stadtteil Grunewald eine stationäre Abhöranlage mit fünf Türmen errichtete, um Informationen aus dem damaligen Ost-Block und aus den Institutionen der ehemaligen DDR abzufangen. Auch der britische Geheimdienst nutzte die Anlage. Jedoch operierten die beiden Alliierten vollkommen getrennt voneinander. Man munkelt sogar, sie hätten sich gegenseitig abgehört. Bis zu 1.500 Menschen arbeiteten in den markanten weißen Kuppeln der “Field Station Berlin” im Drei-Schicht-Betrieb. Mit immer ausgefeilterer Technik wurde der Teufelsberg zur wichtigsten Lauschstation der Welt. Die “Ohren” reichten bis nach Moskau. Bis heute herrscht über die gesammelten Informationen strenge Geheimhaltung. Erst 2022 sollen sich in den USA die Archive öffnen.

Der Berg, der heute mit seinem fantastischen Blick über Berlin so grün und beschaulich wirkt, ist aufgebaut auf den Trümmern des Wahnsinns der NS-Regierung und des darauf folgenden Zweiten Weltkrieges. In den 1940er Jahren ließ Hitler hier eine “Wehrtechnische Fakultät” bauen. Sie sollte der erste Schritt zur Umgestaltung Berlins zur Hauptstadt von “Germania” sein. Nach Ausbruch des Krieges wurde das Vorhaben 1940 gestoppt, der Rohbau wenig später durch Bomben zerstört. Ein Fundament aus Trümmern blieb, worauf nach Kriegsende rund die Hälfte der Trümmer des zerstörten Berlins gestapelt wurde. Nach und nach wuchs der Berg, dessen Namensgeber der unterhalb gelegenen Teufelssee ist, an. Im letzten Schritt wurde der südliche Teil bepflanzt und aufgeforstet, so dass aus Kriegsruinen ein grünes Naherholungsgebiet entstand.

Nach dem Mauerfall verlor die Abhörstation ihre Daseinsberechtigung. Sie operierte noch bis 1992 und wurde anschließend kurze Zeit für die zivile Luftüberwachung genutzt. Nachdem einige private Investoren mit ihren Projekten (Exklusive Appartements, Hotel, Spionage Museum, Yoga-Zentrum) scheiterten, begann die Anlage zu verfallen.

Seit 2018 steht der Teufelsberg als Relikt des Kalten Krieges unter Denkmalschutz. In der von Wäldern umgebenen Anlage dürfen keine neuen Gebäude errichtet werden. Das Gelände befindet sich aktuell im Privatbesitz der Investorengemeinschaft Teufelsberg Berlin und kann offiziell besichtigt werden. Künstler aus aller Welt haben auf den Wänden der Gebäude eine riesige Graffiti-Galerie errichtet. Die eindrucksvollen, bunten Wandbilder sind bis zu 270 Quadratmeter groß.

Die herrlichen Rundum-Blicke, die bunte Street Art Szene, die geheimnisumwitterte Geschichte und der morbide Charme machen den Teufelsberg zu einem spannenden Ziel im Grunewald. Die ehemaligen Abhörtürme mit den im Wind flatternden Stofffetzen wirken wie aus einer anderen Welt.